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Menschenhandel ist kein Bagatelldelikt – Gerechtigkeit und Genugtuung für Opfer von Menschenhandel

Auch in diesem Jahr verhandelten Schweizer Gerichte Fälle von Menschenhandel. So unterschiedlich die Fälle von der Konstellation her waren, glichen sie sich im verhältnismässig milden Urteil gegenüber der Täterschaft und den tiefen Genugtuungszahlungen. Die Plateforme Traite kritisiert zum Europäischen Tag gegen Menschenhandel den Widerspruch zwischen der massiven Ausbeutung, welche Opfer von Menschenhandel erlitten haben, den Risiken und der Ungewissheit, welchen sie bei Teilnahme an Strafprozessen ausgesetzt sind und der häufig fehlenden Gerechtigkeit sowie geringer Entschädigung, die sie dafür erhalten.

Ungerechtigkeit wird nicht anerkannt

Ende September wurde das Urteil im Menschenhandelsfall von Andelfingen gesprochen. Der Haupttäter muss eine 9-monatige Freiheitsstrafe absitzen – eine kürzere Zeit als seine beiden Opfer in Käfigen eingesperrt waren und ausgebeutet wurden. Auch die Entschädigung für die Opfer fällt deutlich geringer aus, als der Profit, welche die Täter*innen mit der Ausbeutung der betroffenen Frauen erzielt haben.

Im Fall der Familie Hinduja, bei welchem mehrere Hausangestellte in Genf massiv ausgebeutet wurden, wurde diesen Sommer die Anklage wegen Menschenhandel fallen gelassen wegen der freiwilligen Rückkehr der Opfer zu den Täterinnen. Wegen Wucher wurden sie zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Wie relativ Freiwilligkeit für armutsbetroffene Personen ohne Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz ist, die gegebenenfalls auch mit Drohungen und Gewalt von Seiten ihrer Peinigerinnen rechnen müssen, wurde nicht berücksichtigt. Die Staatsanwaltschaft war nicht überzeugt und legte gegen die Entscheidung Berufung ein.

«Die Perspektive von Opfern von Menschenhandel findet viel zu wenig Eingang in die Arbeit von Ge-richten und Staatsanwaltschaften», kritisiert Georgiana Ursprung von der Plateforme Traite. Dies zeigen die oben erwähnten Fälle exemplarisch auf.


Menschenhandel darf sich nicht lohnen

Täter*innen üben Druck auf die Opfer aus, bedrohen sie oder ihre Familien und nutzen ihre prekäre Situation aus, um sie auszubeuten. Bei zu tiefen Entschädigungszahlungen «lohnt» sich die Tat für die Täter*innen gar finanziell. Das sendet ein falsches Signal. «Wir fordern Entschädigung, welche den entgangenen Lohn berücksichtigt und den Opfern eine sichere ökonomische Perspektive nach der Ausbeutung ermöglicht wie auch Genugtuungssummen, welche in einem angemesseneren Verhältnis zur erlittenen Gewalt stehen» sagt Fanie Wirth, FIZ Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration.

Die Mehrheit der Fälle von Menschenhandel landen erst gar nicht vor Gericht

Die Anzahl strafrechtlicher Verurteilungen wegen Menschenhandels bewegen sich im einstelligen Prozentbereich im Verhältnis zu den identifizierten Opfern: So kam es 2023 bei 197 von den spezialisierten Fachstellen der Plateforme Traite identifizierten Menschenhandelsopfern bloss zu 8 strafrechtlichen Verurteilungen wegen Menschenhandel. 2022 wurden bei 177 identifizierten Opfern nur in 7 Fällen Verurteilungen wegen Menschenhandel gesprochen. Dies ist ein gravierendes Missverhältnis.

Wenn es zu einem Strafverfahren kommt, wird häufig der Straftatbestand des Wuchers oder der Förderung der Prostitution anstelle von Menschenhandel verfolgt. Der aktuelle Gesetzesartikel zu Menschenhandel in der Schweiz wird sehr selten und sehr restriktiv angewendet. Er beinhaltet eine enge Auslegung von Zwang, die nicht im Einklang mit der Europaratskonvention gegen Menschenhandel steht. Zudem ist Menschenhandel ein komplexer Straftatbestand für dessen aufwendige Ermittlung die zeitlichen sowie finanziellen Ressourcen in vielen Kantonen nicht bereitgestellt werden. Ein weiterer Grund für die fehlenden und geringen Strafurteile ist das fehlende Wissen, die mangelnde Sensibilisierung bei den Richterinnen und Staatsanwaltschaften zu Menschenhandelsfällen. «Wir fordern einen Gesetzesartikel zu Menschenhandel, welcher der Realität von Menschenhandelsfällen gerecht wird sowie ausreichend Ressourcen für die Strafverfolgung» sagt Angela Oriti von ASTRÉE.

Gesicherter Aufenthalt – auch nach dem Strafverfahren

Die Betroffenen haben oft über Jahre in einem Strafverfahren mitgewirkt. Sie erzählten immer wieder ihre Ausbeutungsgeschichte und mussten im Detail über die erniedrigende Gewalt sprechen. Viele sind traumatisiert und kämpfen mit den psychischen und physischen Folgen. Sie mussten sich zudem mit den Täterinnen und dem Risiko von Vergeltung aussetzen.

Nur dank ihren Aussagen ist es möglich, die Täter*innen zu verurteilen. Trotzdem erwartet viele der Betroffenen eine unsichere Zukunft, da sie längerfristig keinen gesicherten Aufenthalt in der Schweiz haben. Für viele beeinträchtigt diese Ungewissheit ihre Gesundheit und ihre Integration und ist wenig verständlich in Anbetracht der Risiken, die sie für die Beteiligung am Strafverfahren auf sich nehmen. «Die Beteiligung im Strafverfahren ist für viele Betroffene retraumatisierend und ein Risiko für sie sowie häufig auch für ihre Familien im Herkunftsland.» führt Leila Boussemacer, CSP Genève aus.

Der Zugang zu Aufenthaltsbewilligung im Rahmen eines Härtefalls nach einem Strafverfahren würde dazu führen, dass Betroffene sich erholen und eine erneute Ausbeutung verhindert werden könnte.

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