GRETA sieht großen Handlungsbedarf beim Schutz der Opfer von Menschenhandel in der Schweiz
Die Expert*innengruppe zu Menschenhandel des Europarats (GRETA) hat heute ihre Empfehlungen an die Schweiz zur Bekämpfung des Menschenhandels veröffentlicht. GRETA empfiehlt der Schweiz Maßnahmen, um den Schutz der Opfer mittels Identifizierung durch spezialisierte Dienste, sichere Unterkünfte, eine auf die Bedürfnisse und den Willen der Opfer abgestimmte Betreuung, den Zugang zu einer Aufenthaltsgenehmigung entsprechend der Europaratskonvention zur Bekämpfung des Menschenhandels (EKM), sowie eine verstärkte Sensibilisierung der Strafverfolgungsbehörden zu gewährleisten.
Die Schweiz schützt die Opfer von Menschenhandel nicht ausreichend
Opfer von Menschenhandel erhalten nur selten eine Aufenthaltsgenehmigung in der Schweiz, selbst wenn sie als solche identifiziert wurden – und wenn doch, gibt es große Unterschiede zwischen den Kantonen. Dies verunmöglicht den Opfer Zugang zu angemessenem Schutz und Unterstützung und behindert ihre Zusammenarbeit mit den Behörden in möglichen Strafverfahren. Laut GRETA sollten die Behörden Aufenthaltsbewilligungen für Opfer von Menschenhandel während des Strafverfahrens sowie auf der Grundlage ihrer persönlichen Situation, einschließlich Sicherheitsrisiken und ihrer medizinischen und familiären Situation, gewährleisten. Im Asylbereich beispielsweise macht die Schweiz bei Opfern von Menschenhandel, die sich in einem Dublin-Verfahren befinden, kaum Gebrauch von ihrem Recht auf Selbsteintritt. Damit verletzt sie die Rechte der Opfer. Leila Boussemacer, CSP Genf, stellt fest: „Opfer von Menschenhandel, die in das Dublin-Land oder in ihr Herkunftsland zurückgeschickt werden, sind einem erneuten Risiko ausgesetzt, in die Hände von Menschenhändler*innen zu fallen“.
Opfer von Menschenhandel im Ausland werden diskriminiert
Das schweizerische Opferhilfegesetz sieht keinen Zugang zu Schutz und Unterstützung für Personen vor, die im Ausland Opfer von Menschenhandel geworden sind. Selbst wenn sie als solche identifiziert werden, sind die Opfer bei der Bewältigung der mit dem Menschenhandel verbundenen Traumata auf sich allein gestellt und haben keinen Schutz vor der Gefahr des Re-Trafficking. Diese Einschränkung verstößt gegen Artikel 12 der EKM sowie gegen Artikel 4 der Istanbul-Konvention. Nina Lanzi, FIZ präzisiert: «Indem die Schweiz die Opfer von Menschenhandel diskriminiert, wenn die Straftat im Ausland begangen wurde, verstößt sie gegen ihre internationalen Verpflichtungen und gefährdet damit Menschenleben.»
Die Umsetzung der nationalen Strategie zur Bekämpfung des Menschenhandels drängt
Im Rahmen des dritten Nationalen Aktionsplans (NAP) zur Bekämpfung des Menschenhandels in der Schweiz sind unter anderem Maßnahmen zur Verbesserung des Opferschutzes vorgesehen. Angela Oriti, ASTRÉE, stellt fest: „Bisher fehlt ein Budget für die Umsetzung der Maßnahmen des NAP.“ Eine klarere Koordination zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden ist notwendig, um eine wirksame Politik zur Bekämpfung des Menschenhandels zu erreichen. Monica Marcionetti, MayDay, kritisiert: „In einigen Kantonen werden die Opfer nicht angemessen identifiziert, geschützt und betreut, da es keine spezialisierten Dienste gibt oder diese nicht ausreichend anerkannt und finanziert werden. In diesen Kantonen, in denen das Phänomen des Menschenhandels verharmlost oder ignoriert wird, ist die Unterbringung und Betreuung von Menschenhandelsopfer schwierig bis völlig unmöglich“.